Zwischen Tradition und Moderne: Baukultur im ländlichen Raum

Ministerin Priska Hinz eröffnete das Praxisforum der Servicestelle Vitale Orte 2030 in Eschwege. Bürgermeister Markus Mannsbarth stellte das Projekt Generationenhaus Bahnhof Hümme vor.

HÜMME/ESCHWEGE. "Baukultur stiftet Identität, bewahrt das historische Erbe und eröffnet Zukunftsperspektiven: Ortskerne bleiben lebendig, Gebäude behalten ihren Wert, Handwerk, Handel und Tourismusgewerbe profitieren. Die Pflege und der Erhalt von Grünanlagen und großen, alten Bäume wiederum leisten eine wichtigen Beitrag zum Klimaschutz", sagte Hessens Ministerin für Stadtentwicklung, Priska Hinz, bei der Eröffnung des 14. Praxisforums der Servicestelle "Vitale Orte 2030" deutlich. Das diesjährige Praxisforum steht unter dem Motto "Zwischen Tradition und Moderne - Baukultur im ländlichen Raum". "Baukultur ist mehr als gute Architektur. Sie umfasst auch die Prozesse und Verfahren, die eine gute Gestaltung hervorbringen und ist damit ein Ausdruck gut funktionierender Stadt- und Dorfgemeinschaften. Denn alle sollten sich angesprochen fühlen, wenn es um die bauliche Entwicklung eines Ortes geht", so die Ministerin in ihrem Grußwort.

 

Unverwechselbare, attraktive Orte, Häuser, Straßen und Plätze erhöhen die Lebensqualität und die Verbundenheit der Menschen mit ihrer Umgebung. Historische Bauwerke wie Fachwerkhäuser, Türme oder Brunnen tragen ebenso dazu bei wie große Bäume und gut nutzbare Grünflächen. Auch für den Tourismus sind der Erhalt historischer Orte und die Förderung regionaler Baukultur von zentraler Bedeutung. Im diesjährigen Praxisforum der Servicestelle Vitale Orte 2030 wurde eine Auswahl vieler bemerkenswerter Bauprojekte in Hessen vorgestellt. Dabei standen die Themen "Neubau im Bestand" und "Erhaltung historischer Bausubstanz" im Vordergrund. Darüber hinaus wurden zwei regionale Strategien zum Thema Baukultur vorgestellt.

 

In der Fachwerkstadt Eschwege wurden die Sichtachsen, die Verkehrsplanung um den Markplatz sowie die Neugestaltung der Fußgängerzone mit den Anwohnerinnen und Anwohnern diskutiert - eine Planungspraxis im Sinne guter Baukultur. Andere Projekte ergänzen das Gesamtbild, etwa die Umnutzung eines ehemaligen Gerbereigeländes in der Innenstadt zur Geschäfts- und Beratungsstelle des Vereins Aufwind e.V. und die energetische Quartiersentwicklung. Als Besonderheit ist auch das heutige Veranstaltungsgebäude zu nennen, das als Denkmal der Industriegeschichte multifunktionell als Kulturzentrum genutzt wird.

 

Im Kern der Fachwerkstadt Melsungen wurde ein sanierungsbedürftiges Forsthaus modernisiert und um einen Neubau erweitert, der mit moderner Fassadengestaltung und beweglichen Verschattungselementen aus Holz einen Kontrast zur historischen Bausubstanz bildet. Das Kleinteilige des bestehenden Gebäudes ist beim Neubau übersetzt in großzügige Formen. Die Stadt lobte hierfür einen Architektenwettbewerb aus. Alt- und Neubau werden heute als Dienstleistungszentrum genutzt.

 

Einen wesentlichen Beitrag zur Baukultur im ländlichen Raum leistet die Denkmalpflege. In Hofgeismar-Hümme erfolgten alle Umbaumaßnahmen im ehemals einsturzgefährdeten denkmalgeschützten Bahnhofsgebäude in enger Absprache mit der Denkmalpflege. Beim Ausbau zu einem barrierefreien, multifunktional nutzbaren Veranstaltungshaus für alle Generationen erhielt das Gebäude ein neues Dach, neue Fenster und Türen und die Haustechnik wurde komplett erneuert. Öffentliche Förderung und erhebliche Eigenleistungen der Bevölkerung trugen zum Gelingen bei, was Bürgermeister Markus Mannsbarth in seinem Vortrag in der Kulturfabrik (altes E-Werk) in Eschwege deutlich machte.

 

Nicht nur spektakuläre Gebäude, auch Alltagsbauten prägen die Baukultur von Städten und Gemeinden. Die Renovierung eines Fachwerkhauses aus dem Jahr 1900 in Herbstein-Stockhausen ist ein solches Beispiel: Nach langem Leerstand und sensiblem Umbau konnten in das ehemalige Einhaus im Vogelsberg Studierende in sechs kleine Wohnungen einziehen. Es wird mit Fernwärme versorgt.

 

Damit immer mehr Projekte als gutes Beispiel im Sinne der Baukultur vorangehen, werden regionale Initiativen gestartet. Ziel der "Initiative Baukultur Eifel" ist es, das reichhaltige baukulturelle Erbe im Eifelkreis Bitburg-Prüm zu erhalten und die Menschen dafür zu gewinnen, die regionale Architektur nach heutigen Ansprüchen weiterzuentwickeln. Ein dichtes Netzwerk von Aktiven, Informationen und Projekte lenken hier den Blick der Öffentlichkeit auf die regionalen baukulturellen Werte. Die Bundesstiftung Baukultur zeigte auf, dass die Kultur des Bauens auf dem Land eine wichtige Zukunftsperspektive für ländliche Räume darstellt. Der aktuelle Baukulturbericht gibt Handlungsempfehlungen zu den Themen Vitale Gemeinden, Infrastruktur und Landschaft sowie Planungskultur und Prozessqualität, mit denen die ländlichen Orte gestärkt werden können.

 

In Hessen setzt sich die Landesinitiative +Baukultur mit Wettbewerben und Informationstagen dafür ein, dass Funktionalität und Schönheit, Kostenbewusstsein und Nachhaltigkeit sowie baukulturelles Erbe und moderne Gestaltung in Zukunft stärker beachtet werden. "Um regionaltypische Bauweisen zeitgemäß weiterzuentwickeln, muss Baukultur zukünftig mehr ins Blickfeld rücken. Wir alle müssen daran arbeiten, um für die Bürgerinnen und Bürger auch im ländlichen Raum eine gute Wohn- und Lebensqualität zu schaffen oder zu erhalten", betonte Hinz. "Die behutsame Entwicklung bestehender Strukturen unterstützen wir im Rahmen verschiedener Förderangebote, darunter mit mehreren Programmen der Städtebauförderung, mit dem Dorfentwicklungsprogramm und anderen Initiativen wie dem Dorfwettbewerb."

 

Hintergrund:

 

Die Servicestelle Vitale Orte 2030 wurde im Rahmen der Nachhaltigkeitsstrategie des Landes Hessen ins Leben gerufen. Sie steht unter Federführung des Hessischen Umweltministeriums und der Bürgermeisterin der Stadt Schotten als Vertreterin des Hessischen Städte- und Gemeindebundes. In der Projektgruppe wirken rund 30 Personen mit, die mit der Entwicklung des ländlichen Raums befasst sind. Sie arbeiten bei Kommunen, Landkreisen, Genehmigungsbehörden, Kirchen, für Naturschutz, Denkmalpflege oder in der Weiterbildung. Ihre unterschiedlichen Aufgaben und Qualifikationen, Zielgruppen, Netzwerke und langjährigen Erfahrungen erlauben einen vielseitigen Blick auf den ländlichen Raum, der Themen und Ansatzpunkte für die Erhaltung vitaler Orte und für die Arbeit der Servicestelle Vitale Orte 2030 identifiziert.